Insight

Entscheidung des BGH zum Wissentlichkeitsausschluss im D&O-Deckungsprozess

Entscheidung des BGH zum Wissentlichkeitsausschluss im D&O-Deckungsprozess
Kein Rückschluss von der Verletzung der Insolvenzantragspflicht auf eine wissentliche Verletzung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots

Der BGH hat am 19. November 2025 seine mit Spannung erwartete Entscheidung zum Wissentlichkeitsausschluss im D&O-Deckungsprozess wegen Verletzung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. (nunmehr § 15b InsO) verkündet. Erstmals hatte der BGH zu entscheiden, ob eine Verletzung der als Kardinalpflicht zu qualifizierenden Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO zur Begründung eines wissentlichen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot herangezogen werden kann und dem Versicherer damit Beweiserleichterungen beim Nachweis der wissentlichen Pflichtverletzung zugutekommen. Der BGH hat – anders als das OLG Frankfurt in der Vorinstanz – klargestellt, dass aus der Verletzung der Insolvenzantragspflicht nicht auf eine wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots geschlossen werden kann. Maßgeblich ist vielmehr die jeweils unmittelbar zur Masseschmälerung führende Zahlung.

Kontext – Beweiserleichterung für Wissentlichkeitsausschluss bei Kardinalpflichtverletzungen

In D&O-Versicherungen ist der Deckungsschutz für wissentliche Pflichtverletzungen der versicherten Person regelmäßig ausgeschlossen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsmerkmale eines solchen Risikoausschlusses trägt grundsätzlich der Versicherer. Bei der Verletzung sog. Kardinalpflichten – elementarer beruflicher Pflichten – kommt dem Versicherer jedoch eine Beweiserleichterung zugute: Die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung wird vermutet. Die versicherte Person hat im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast Umstände aufzuzeigen, weshalb der Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht gerechtfertigt ist.

Unstreitig zählt etwa die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO zu den Kardinalpflichten eines Geschäftsführers. Ob ein Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht auch eine wissentliche Verletzung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots indiziert, war bislang umstritten und lag dem BGH nun zur Entscheidung vor.

OLG Frankfurt (Urteil vom 5. März 2025, Az. 7 U 134/23): Zahlungsverbot als Kardinalpflicht – Indizwirkung bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht

In der Vorinstanz hatte das OLG Frankfurt das Zahlungsverbot nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. (nunmehr § 15b InsO) als Kardinalpflicht eingeordnet und zur Begründung die unstreitig als Kardinalpflicht zu qualifizierende Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO herangezogen: Ein Verstoß gegen das Zahlungsverbot wurzele in der Regel in einem Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht, da beide Pflichten eng miteinander verknüpft seien und jeweils dem einheitlichen Zweck dienten, das Unternehmen und seine Gläubiger zu schützen. Anhaltspunkte für eine wissentliche Verletzung der einen Pflicht indizierten damit zugleich eine wissentliche Verletzung der anderen. Von der Verletzung der Insolvenzantragspflicht sei daher auf den Charakter des Zahlungsverbots als Kardinalpflicht zu schließen.

BGH (Urteil vom 19. November 2025, Az. IV ZR 66/25): Keine Indizwirkung der Insolvenzantragspflicht

Der BGH hat die Entscheidung des OLG Frankfurt aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nach Auffassung des BGH kann aus der – hier noch dazu nur bedingt vorsätzlichen – Verletzung der Insolvenzantragspflicht nicht auf eine wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots geschlossen werden. Maßgeblich sei vielmehr, ob spiegelbildlich gerade die Pflicht wissentlich verletzt wurde, deretwegen die versicherte Person in Anspruch genommen wird. Für Zahlungsansprüche nach § 15b InsO sei daher auf die nach Eintritt der Insolvenzreife vorgenommenen Zahlungen abzustellen. Eine wissentliche Verletzung anderer Pflichten – etwa der Insolvenzantragspflicht – genüge demgegenüber nicht, um eine wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots zu begründen. Nicht behandelt hat der Senat die Einordnung des Zahlungsverbots als mögliche Kardinalpflicht und etwaige daraus folgende Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherers.

Konsequenzen und Einordnung – Prüfung jeder einzelnen Zahlung 

Die BGH-Entscheidung beendet damit die Unsicherheiten zu den Anforderungen an die Darlegung des Wissentlichkeitsausschlusses bei Ansprüchen aus § 15b InsO: Der Versicherer wird für jede nach Insolvenzreife erfolgte Zahlung darzulegen haben, ob sie verboten war und ob die versicherte Person jeweils Kenntnis vom Zahlungsverbot hatte. Einen pauschalen Deckungsausschluss für Zahlungen nach Insolvenzreife gibt es damit nicht. Dies entspricht auch der bisherigen Linie des BGH, wonach Ansprüche aus § 64 S. 1 GmbHG a.F. (nunmehr § 15b InsO) grundsätzlich in den Schutz einer D&O-Versicherung einbezogen sind (Urt. v. 18. November 2020, Az. IV ZR 217/19). Welche Auswirkungen die Entscheidung des BGH auf die Praxis haben wird und wie sie bei einer großen Zahl von Zahlungen oder schwankender Vermögenssituation gehandhabt wird, bleibt nun abzuwarten.

Related capabilities